VERWALTUNGSRECHT / EINE „KAPUZINERGRUFT“ FÜR JEDERMANN?

VERWALTUNGSRECHT / EINE „KAPUZINERGRUFT“ FÜR JEDERMANN?

Ein Wiener Geschäftsmann will in einer Wohnsiedlung ein Mausoleum für neun Särge errichten lassen; ist das gegen den Widerstand von Anrainern zulässig? Die Rechtsanwaltskanzlei Dr. Georg Prchlik in Wien ist mit der Vertretung einer Anrainerin beauftragt. Autor: Dr. Georg Prchlik

Mitunter treten Fragen auf, für die das Gesetz keine sinnvolle Antwort bereithält – einfach deshalb, weil der Gesetzgeber ein solches Problem nicht für möglich gehalten hatte.

Im 21. Wiener Gemeindebezirk, inmitten einer Wohnsiedlung mit Ein- und Mehrfamilienhäusern, beabsichtigt ein Geschäftsmann und Hausbesitzer, in seinem Garten – nur wenige Meter von den Grenzen der Nachbargrundstücke entfernt – ein Mausoleum zu errichten. Und zwar eine beachtliche Anlage mit einem Gebetsraum und einer unterirdischen begehbaren Gruft für neun (!) Särge.

Ein Grabmal im Garten – für die Nachbarn eine potentielle Problemquelle, von simplen Fragen der Hygiene (in den Särgen sollen sich schließlich Leichen befinden) bis zu Aspekten der in unserem Kulturkreis nicht üblichen permanenten Konfrontation mit dem Tod.

Man sollte meinen, dass das Gesetz zur Behandlung dieses Problems eine ähnliche Lösung bereithalten würde wie im Falle einer die Nachbarn potentiell störenden Betriebsanlage: ein Genehmigungsverfahren, in welchem die Nachbarn ihre Einwendungen vorbringen können und die Behörde auf Basis dieser Einwendungen über die Zulässigkeit der Anlage entscheidet.

Ein solches Verfahren aber wird vom Wiener Landesgesetzgeber nicht geboten:

Eine Beteiligung von Nachbarn findet lediglich insoweit statt, als das Mausoleum ein Bauwerk darstellt und deshalb eine Bauverhandlung nach der Wiener Bauordnung durchgeführt werden muss – was den Nachbarn bloß die Möglichkeit gibt, Dinge von bautechnischer Bedeutung wie etwa die Bauwerkshöhe zu bemängeln.

Jenes Gesetz aber, in dessen Kernbereich die Errichtung und der Betrieb einer Begräbnisstätte fallen, nämlich das Wiener Leichen- und Bestattungsgesetz 2004 (WLBG 2004), kennt kein Genehmigungsverfahren unter Beteiligung der Nachbarn:

Zwar sieht das WLBG 2004 die Möglichkeit von Privatgrabstätten außerhalb von Friedhöfen

  • für die Bestattung von Leichen (Körpergräber) oder
  • für die Bestattung von Leichenasche (Urnengräber)

vor, doch widmet das Gesetz sein Hauptaugenmerk der Verwahrung von Leichenasche (im Fall einer Nachfrage betreffend Privatgrabstätten hat der zuständige Magistrat automatisch ein Merkblatt über Urnen zugeschickt). Ein Genehmigungsverfahren für private Körpergräber unter Beteiligung der Nachbarn ist nicht vorgesehen.

Der Grund für diese unbefriedigende gesetzliche Situation liegt offenkundig darin, dass der Gesetzgeber des WLBG gar nicht damit gerechnet hat, dass jemand auf die Idee kommen würde, den Körper eines Verstorbenen in einer Privatbegräbnisstätte zu beerdigen:

Die Möglichkeit der Beerdigung von Leichen oder Leichenasche in einer Privatbegräbnisstätte war bereits nach dem alten WLBG 1970 gegeben; als 2004 das neue WLBG erlassen wurde, traf man in den erläuternden Bemerkungen zum Gesetzesentwurf (zu § 25) die Feststellungen :

Auf Grund der Erfahrungen in der Praxis steht fest, dass in Wien grundsätzlich nur Leichenasche in einer Privatbegräbnisstätte bestattet wird. Eine Leichenasche ist aus hygienischer Sicht unbedenklich.“

Jeder Mensch sollte, wenn dies sein Wunsch oder der Wunsch seiner nahen Angehörigen ist, die Möglichkeit haben, dass die Asche in dem Umfeld aufbewahrt wird, in dem er sein Leben verbracht hat.“

Der Gesetzgeber hat demnach zwar auch die Beerdigung von Körpern in Privatbegräbnisstätten vorgesehen, de facto aber nur die Verwahrung von Asche in privaten Urnen für realistisch gehalten; aus diesem Grunde sind die Probleme privater Körpergräber im Gesetz äußerst stiefmütterlich behandelt.

(Der Grund dafür, dass der Gesetzgeber überhaupt die Möglichkeit privater Körpergräber vorgesehen hat, ist historischer Natur:

Ohne die Zulassung derartiger Begräbnisstätten könnte keine Neubelegung von historischen Privatgrüften ehemals adeliger Familien – insbesondere keine exklusive Bestattung von Angehörigen der Familie Habsburg in der Kapuzinergruft – erfolgen. Da eine Beschränkung der Zulassung derartiger Grabstätten auf historische Privatgrüfte wohl gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen würde, musste das Gesetz im Sinne einer allgemeinen Zulässigkeit („Kapuzinergruft für jedermann“) formuliert werden.)

Die Rechtsanwaltskanzlei Dr. Georg Prchlik in Wien vertritt in der betreffenden Angelegenheit eine Nachbarin, die Einwendungen gegen das Mausoleum vorbringen möchte; als nächster Verfahrensschritt steht eine die Mängel des WLBG rügende Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof im Raum.

FORTSETZUNG FOLGT!

 


Den Artikel (mit Bauwerksskizzen) finden Sie zum Nachlesen auf wien.orf.at.

 

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